EU-Grid Codes: „Verteilnetze müssen die Stabilität des Gesamtsystems stützen. Das macht eine Menge neuer Prozesse notwendig“

Im vorigen Beitrag haben wir darauf hingewiesen, dass ein neues Netzanschlussmanagement notwendig ist, um die Anforderungen der EU-Grid Codes umzusetzen. Zuvor müssen jedoch noch einige grundsätzliche Bemerkungen vorausgeschickt werden.

Die neuen Technischen Anschlussregeln (TAR) beziehen sich im Wesentlichen auf die beiden technischen Kodizes „RfG – Requirements for Generators“ und „DCC – Demand Connection Code“. Neben diesen Kodizes gibt es aber eine ganze Reihe weiterer Kodizes, stellvertretend sei hier „SO System Operations“ und „E&R Emergency and Restoration“ genannt. Die grundsätzlichen Forderungen der weiteren Kodizes sind natürlich auch von den Netzbetreibern zu beachten, sofern sie davon betroffen sind. In dem Moment, da das Verteilnetz seinen Beitrag zur Sicherstellung der Stabilität des Gesamtsystems leistet, sind alle Netzgesellschaften betroffen.

Die neuen TAR sind keine Netzanschlussregeln!
Sie gelten für den Netzanschluss und alle Betriebsphasen des Netzes – besser des Systems!
Die EU-Grid Codes machen Netzbetreiber zum „Systemadministrator“ oder „Systemmanager“!

Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung sowie der Kernenergie müssen die Verteilnetze auch die Stabilität des Gesamtsystems stützen und gestalten. Das ist keine einfache Aufgabe, da hier doch eine Menge neuer, bisher unbekannter Prozesse notwendig wird.

Die aktuellen TAR stellen nur das Grundgerüst mit Anforderungen an Anlagen und entsprechenden Grenzwerten dar. Die Nutzung zur Bildung von Systemeigenschaften ist damit vorbereitet und wird Gegenstand weiterer Verordnungen. Sie sind somit zwingend vollumfänglich umzusetzen, da ansonsten die Bildung von Systemeigenschaften – „Das Verteilnetz übernimmt Verantwortung“ – nicht funktionieren kann.

Konkrete Inhalte sind:

  technisch (gelten für: ungestörter, gestörter Betrieb, Wiederherstellung):

  • Netze werden statisch und dynamisch betrieben und entsprechend „gemanagt“.
  • Anlagen in Typ-Klassen (ab 800 W) eingeteilt mit entsprechenden technischen Anforderungen, die die Anlagen passiv und aktiv – mit Vorgaben des Netzbetreibers – erfüllen und geführt werden müssen.
  • Anlagen müssen Netzfehler aktiv „durchfahren“, daher gibt es keine höhere Gewalt aus netztechnischer Sicht mehr, sondern neue Fehlerfälle, die beherrscht werden müssen.
  • Schutztechnik vollkommen neu konzipiert – Probleme bei Bestandsanlagen.
  • Verteilnetze müssen Systemdienstleistungen erbringen und sind für die Stabilität der Spannung und der Blindleistung eigenverantwortlich.
  • Netzanschlusspunkte sind neu zu bewerten, da jetzt keine Summenbetrachtungen von Eigenschaften, sondern abgangsscharfe Bewertungen notwendig sind – Umsetzung Verursacherprinzip – Veränderte Power Quality Bewertungen und neue Grenzwerte.
  • Neue Netzanschlussverfahren – orientiert an Leistungsklassen (nicht mehr nach Spannungsebenen).
  • Neue Zertifizierung der Anlagen nach den Vorgaben des Netzbetreibers am Netzknoten – Anlagen müssen beweisen, dass sie in der Netzumgebung alle Bedingungen erfüllen.
  • Unterschiedliche Betriebserlaubnisse / Autorisierungskonzepte zum Betrieb von Anlagen.
  • Unsymmetriemanagement im Verteilnetz – insbesondere bei Ladesäulen von E-Fahrzeugen und großen Lasten im Haushalt.
  • Messtechnische Erfassung der Betriebszustände und –eigenschaften.

Konsequenzen:

  • Anlagen und Netze müssen anders als bisher ausgelegt und genutzt werden. Die veränderte Nutzung und die vermehrte Integration leistungselektronischer Anlagen reduziert die Lebenserwartung aller klassischer Komponenten, zum Teil deutlich.
  • Wirtschaftsprüfer: Die neuen Anforderungen und das grundlegend veränderte Systemverhalten kann zu Konsequenzen bei der wirtschaftlichen Bewertung der unterschiedlichen Asset-Klassen führen, mit der Konsequenz von Korrekturen des Anlagevermögens zum jeweiligen Bilanzstichtag. Ein Hinweis im Lagebericht (Risikobericht) muss die Beurteilung auch der künftigen Entwicklung des Unternehmens berücksichtigen – ansonsten eingeschränkter Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers.
  • Eine TAB 2019 muss die Anforderungen der TAR inhaltlich nachvollziehbar wiedergeben und ergänzend mit technischen Betriebsbedingungen (TBB) die geforderten Prozesse und Eigenschaften der Anlagen beschreiben.
  • Erhebliche Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb und Fortführung; Betriebsfähigkeit erhalten.

organisatorisch:

  • Umfangreiche Compliance-Anforderungen an den Schnittstellen ÜNB/ VNB, VNB/VNB, VNB/Kunde.
  • Verteilnetzbetreiber ist jetzt „Anschlussnetzbetreiber“ – alle Anschlüsse und Anlagen sind ein einem Life-Cycle-Prozess zu führen.
  • Einstellparameter von Anlagen und Schnittstellen zu Kunden müssen „bewirtschaftet“ werden.
  • Anforderungen der EU-Verordnungen betreffen alle Geschäftsprozesse eines VNB / Stadtwerks.
  • Deutlich erweiterter Datenumgang – Anpassung der IT-Systeme.
  • Deutliche erweiterte oder neue Anforderungen an Prozess-IT – Anpassung und Erweiterung der Prozess-IT.
  • Abstimmungsprozesse / vertraglich fixiert mit vor- und nachgelagerten Netzbetreibern, Industrie, benachbarten Netzbetreibern.
  • Neue Querschnittsprozesse wie das „Netzanschlussmanagement“ im Rahmen der grundlegend neu gefassten Netzanschlussverfahren müssen etabliert werden.
  • Aufbau eines neuen Kundenmanagements.
  • Erhalt der ISO 9000ff – Zertifizierung auf Kundenseite – Umstellung auf Risikobewertung – Schnittstelle zum Stromnetz muss bewertet werden.

juristisch (Urheber: FGS Flick Gocke Schaumburg mbB, Bonn):

  • Es gibt keine höhere Gewalt mehr, sondern nur noch Störungen (neue Definitionen und Begriffe!).
  • Haftungsansprüche ggf. Deckungsrisiken durch Haftpflichtversicherungen.
  • Organisationsverschulden und ggf. Organhaftung.
  • Alle AGB`s und Netzanschlussverträge sind auf die Anforderungen der EU-Verordnungen anzupassen und fristgerecht (27.04.2019!) umzusetzen (siehe z.B. Artikel 71, EU-VO 2016/631 RfG).
  • Netzeigenschaften sind vertraglich zu verankern und zu überwachen – Compliance-Anforderungen.
  • Bestandsschutz von Anlagen gilt nur in Ausnahmefällen – Verträge müssen angepasst werden, Zugangsrechte und Einstellungen von Anlagen müssen nach Vorgaben des Netzbetreibers eingeräumt sein, Nachrüstpflichten von Bestandsanlagen verankert werden.
  • Veränderte Haftungsbedingungen – Verteilnetzbetreiber ist „Hersteller“ des Produkts.
  • Zugang zum Netz nur von geeignet geschulten Personen nach NAV §13 – die neuen TAR sind zu ca. 85 % neu oder grundlegend überarbeitet, der bestehende Sachkundenachweis muss deshalb grundlegend erweitert werden – es besteht aus den neuen Eigenschaften der Anlagen (Durchfahren von Netzfehlern bis Spannung U = 0 V bei Typ II-Anlagen) eine Gefährdung der im Netz arbeitenden Personen, wenn eine ungewollte Verinselung.

Zur Übersicht sind einige Aspekte in Tabellen dargestellt (in Rot sind neue Themen der TAR gekennzeichnet, x bedeutet ähnliche Anforderungen ähnlich wie bisher, xx weitergehende Anforderungen oder mit erheblichem Aufwand verbunden). In Kundenprojekten verwenden wir hier sehr detaillierte Cluster-Beschreibungen.

Die gesamten Themen um die Gestaltung der Stabilität des Systems, den Anforderungen an die Schnittstellen zu Kundenanlagen, vor- und nachgelagerten Netzbetreibern sindhier nur „angerissen“. Welche Anlagen an welcher Stelle im System geeignete Systemdienstleistungen und Stützung der Stabilitätseigenschaften erbringen müssen, wird zu einem späteren Zeitpunkt intensiv diskutiert. Verbunden sind damit andere Planungs- und Betriebsführungsgrundsätze im Vergleich zur gegenwärtigen Vorgehensweise.

Tabelle 1: Einschätzung der Betroffenheit – Administrationsaufgaben

Tabelle 2: Einschätzung der Betroffenheit – Abstimmungsprozesse

Tabelle 3: Einschätzung der Betroffenheit – Zugriff auf Anlagen – Einstelloptionen vertraglich sichern und betrieblich nutzen

Tabelle 4: Einschätzung der Betroffenheit – Eingriff in Märkte durch Verteilnetzbetreiber

Ergänzend zu diesem Beitrag sind Hinweise für:

  • Industrie- und Gewerbekunden
  • Anlagenbetreiber (auch gewöhnliche Hausanschlüsse)
  • Planer
  • Handwerk, Anlagenerrichter

mit entsprechenden Anforderungen kompakt zusammengestellt.

Eine neue TAB 2019 wurde in Zusammenarbeit mit juristischen Kanzleien erstellt, die im Gegensatz zum Musterwortlaut des BDEW alle technischen Aspekte nach Benutzergruppen orientiert und Technische Betriebsbedingungen (TBB) beschreibt. Alle Aspekte können dann auch in Vertragsdokumenten genutzt werden. Im ORCA-System für die neue Systemführung sind die Vertragsaspekte im Netzanschlussmanagement automatisiert, so dass bezogen auf eine Anlage und deren Systemumgebung alle notwendigen Vertragsaspekte berücksichtigt bzw. bei Änderungen auch angepasst werden.

Die Zertifizierung ist ebenfalls ein Thema für einen späteren Beitrag, da hier gegenwärtig die aktuelle Vorgehensweise an die Anforderungen zur Systemstabilität ergänzt werden müssen, was sicher nur am realen Systemverhalten am Netzanschlusspunkt geprüft werden kann. Jede Art Veränderung oder Nutzung des Systems kann zur Überprüfung der Voraussetzungen führen.

Die vier Tabellen zeigen aber bereits Aspekte des neuen Netzanschlusssmanagements auf, was nach diesen „Vorbemerkungen“ im nächsten Beitrag erläutert wird.

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